Der zweite Teil der Geschichte. Dusan wird losgeschickt, jemanden zu beschatten und Bericht zu geben, was alles geschieht.
Wir sehen also die Stadt Miran dieses Mal durch die Augen des Adeligen (und Schnösels) Dusan, erfahren aber auch so einiges über den markt selber. Und wer weiß, vielleicht geschieht ja noch mehr…
Wer den Begriff des Torc nicht kennt: dies sind (meist in Form von Seilen geformte) metallene Halsreifen, die eine Öffnung haben. Man kann sie also recht leicht abnehmen und wieder anlegen. Historisch waren sie ursprünglich Hoheitszeichen für Herrscher und Götter, im Römschen Reich ersetzte er später auch das Diadem als Zeichen der Herrscherwürde. Im Imperium sind sie gesetzlich den magiern vorbehalten, es ist illegal, sie zu tragen, wenn man kein Magier ist.
Als er durch die Türe trat, stolperte er beinahe über einen Mann, der die Straße entlang eilte und ihm keine Beachtung schenkte. Seine Entschuldigungen erstarben angesichts des vollkommenen Desinteresses des Mannes, der überhaupt kein Interesse an seiner Umgebung zeigte.
Dusan blickte zurück. Millefleurs lächelte und zeigte auf den Rücken des Mannes, den er beinahe umgerannt hätte. Es blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber sie nickte nur.
Seufzend machte Dusan sich auf den Weg. Er musste sich beeilen, um sein Ziel nicht zu verlieren, und schnell vergaß er alles andere in seiner Umgebung. Er hatte Glück: Der man warf leicht zu beschatten und ging in Richtung auf den Marktplatz. Dusan fluchte verhalten, als er das bemerkte. Der Marktplatz war immer voller Leute, die einander anrempelten, voller Taschendiebe, Tiere, Gemüse – es fehlte nur eines: Platz, um sich zu bewegen. Und das war an ruhigen Tagen.
Heute war kein ruhiger Tag. Es war der Tag vor Göttertag, und der Markt war voller Leute, die für den wöchentlichen Feiertag einkauften. Hier hatte er Schwierigkeiten, sein Ziel zu verfolgen, aber er würde wenigstens in den Menschenmengen untertauchen. Nun, die Aufgabe erwies sich wenigstens nicht als allzu schwierig. Millefleurs würde zufrieden sein.
Über Millefleurs gesprochen – wo war sie? Er blickte sich um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Hatte sie ihn verloren? Er lächelte grimmig. Schlechte Leistungen – wenn sie ihm überhaupt folgen sollte. Aber wenn nicht, wie würde sie wissen, ob er dem Ziel gefolgt war, oder ob er sich eine Geschichte ausgedacht hatte? Er würde jedenfalls kein Risiko eingehen.
Der Mann, dem er folgte, stand in einer Ecke und beobachtete die Possen eines Zahnreißers. Jetzt, wo er einen Augenblick Zeit hatte, sah Dusan ihn sich näher an. Gute Kleidung, ein Händler oder so, vermutete er. Die Goldringe an den Fingern zeigten, dass er mehr Geld hatte als Dusan, so viel war klar.
Plötzlich zuckte Dusan zusammen. Er hatte etwas gesehen, was er nicht erwartet hatte. Ein goldener Halsring – das konnte nur eines bedeuten. Keine normale Person durfte so etwas tragen, aber andererseits trugen Magier sie beinahe immer. Es gab da eine Regel im Codex Magii, erinnerte er sich dunkel, die einen Magier eigentlich dazu verpflichtete, stolz das Siegel der Akademie oder des Lehrers zu zeigen, bei dem er gelernt hatte. Das Siegel war sicher auf den Torc – wie man die Dinger nannte – eingraviert, aber es war zu gefährlich, sich heranzuschleichen und zu versuchen, einen Blick auf das Siegel zu erhaschen. Außerdem hätte er es sowieso nicht einordnen können.
Der Mann – der Magier, korrigierte Dusan sich selbst – hob die linke Hand an die Wange. Es sah sogar aus, als ob er leicht zusammenzuckte. War es möglich? Ja, der Magier stieg widerwillig auf die Plattform, wo der Zahnreißer gerade sein letztes Opfer versorgt hatte. Und ja, der Magier wollte sich wohl auch einen Zahn ziehen lassen.
Während er auf das Spektakel wartete, sah Dusan sich noch einmal um. War diese Millefleurs noch aufgetaucht? Es sah nicht danach aus. Niemand, der ihr öhnelte – und ihr kurzgeschorenes Haar wäre mehr als auffällig gewesen.
Naja, es gab da schon jemand, der ihr ein wenig ähnelte, das musste er zugeben. Eine ältliche Frau mit langem, grauen Haar, in einem fleckigen, eierschalenfarbenen langen Rock und einer Strickjacke über den Armen. Sie schlurfte durch die Straßen, anscheinend verloren, mit einer Kappe in der Hand. Warum setzte sie sich die Kappe nicht auf?
Als ein Mann die Münze in die Kappe fallen ließ, erkannte er, wieso. Mit Schaudern wandte er die Augen von ihr ab und zu dem Magier. Er wollte nichts mit Bettlern zu tun haben, der Abschaum der Straßen verursachte ihm Gänsehaut.
Während sie sich einen Weg durch die Menschen bahnte, wich er zurück, um sie zu vermeiden. Mit einem Auge auf dem Zahnreißer und dem Magier, hielt er das andere auf der Alten. Ja, er war sich immer sicherer, dass sie irgendwie mit dieser … bürgerlichen Lehrerin verwandt war, die ihn auf diese Mission geschickt hatte. Sie hatte die gleiche Nase und die gleichen dunklen Augen. Allerdings war sie deutlich älter – ihr graues Haar bewies das – und er wunderte sich, wie sie wohl verwandt waren. Gut möglich, dass diese Bettlerin ihre Mutter war, dachte er bei sich.
Der Magier – ein schneller Blick auf die Plattform – wies auf einen Zahn und setzte sich dann auf den Stuhl mit der hohen Lehne. Während der Zahnreißer sich von links über den Mann beugte und die Massen hin und her wogten und sich an dem Spektakel ergötzten – die Arme und Beine des Magiers zuckten wild – blickte er sich wieder um. Ah, da war ja die alte Hexe. Wie die anderen Leute interessierte sie sich nur für die Geschehnisse auf der Plattform – was war Schadenfreude doch für ein niederer Instinkt, ein Instinkt, über den er sich weit erhaben fühlte.
Schließlich riss der Zahnreißer seinen Ellenbogen mit Schwung hoch und nach hinten und hob triumphierend die Zange hoch, den schlechten Zahn fest im Griff. Während der Magier in den Sessel zurücksank und seine Wange streichelte, warf der Zahnreißer den Zahn in einen Eimer, in dem schon mehr Zähne waren – wahrscheinlich nicht nur von Kunden des heutigen Tages, dachte Dusan. Dafür waren es einfach zu viele Zähne.
Jetzt, da das Schauspiel vorbei war, zerstreuten die Leute sich wieder um einzukaufen, und auch die alte Frau hatte wieder begonnen zu betteln. Dusan achtete darauf, ihn nicht zu nahe zu kommen und wartete, dass der Magier wieder auf die Beine kam.
Das dauerte nicht lange. Schlurfend und offensichtlich noch leicht benommen verließ der Magier die Plattform und ging zurück auf den Markt. Dusan folgte ihm, wobei er sich die Stände merkte, die der Magier besuchte, um sie später benennen zu können.
Zuerst besuchte der Magier einen Fleischer, wo er sich zwei Pasteten einpacken ließ. Dann ging er zu einem Weinhändler, wo er sich niederließ, ein Viertel Wein trank und dabei aß. Offensichtlich hatte die Tortur ihm einen gesunden Appetit gegeben, denn er verputzte die beiden Pasteten und den Viertelliter Wein in wenigen Minuten.
Von dort ging der Magier zu einem Kräuterhändler. Während er die Waren durchsah, bemerkte Dusan die alte Bettlerin wieder. Auch sie schien sich für die Kräuter zu interessieren. Dusan runzelte die Stirn. Wieso sollte eine Bettlerin sich so teure Kräuter leisten wollen? Wie auch immer … sein Ziel kaufte ein paar Farne und ging dann weiter.
Der Magier hatte seine Besorgungen beinahe erledigt. Er ging noch zu einem Schreiber, wo er Tinte und Pergament erwarb, und schließlich zu einem Stand wo Käse verkauft wurde. Nachdem er die verschiedenen Käse ausgiebig gemustert hatte, entschied er sich für einen, den Dusan ekelerregend orange fand, und ließ ihn einpacken. Schließlich verließ er den Markt und machte sich auf den Heimweg.
Als er bei dem Ausgang des Hauptquartiers vorbeikam, durch den er es zuletzt verlassen hatte, sah er Millefleurs in der Türe stehen. Sie winkte ihn herein und sagte "So viel zum Beschatten. Jetzt kommt noch die Abschlussbesprechung."