Der Geschichte vierter und damit letzter Teil. Zunächst gibt Dusan noch einen Überblick über die weiteren Aktionen des Magiers Andrax Lamann, und dann hat Millefleurs ihm noch ein paar Dinge zu sagen.

Wer mitgedacht hat, hat vielleicht schon eine Ahnung, was eigentlich los ist. Aber ansonsten wird hier jetzt alles aufgelöst…


"OK. Und dann ist Lamann gegangen?"

"Wer ist… Ach, ja, er ging."

"Wer? Lamann? Erinnern Sie sich noch? Andrax Lamann, der Mann, der beschattet werden sollte?"

"Kein Grund für Sarkasmus."

"Wo ging er dann hin?"

"Einkaufen. Wein, Kräuter, Fleisch, Käse"

"In der Reihenfolge?"

"Ich glaube… Moment – nein. Erst kaufte er zwei Fleischpasteten, aß sie dann mit etwas Wein, dann…" Er geriet ins Schwimmen."… dann kaufte er etwas Käse – einen schrecklich orangefarbigen -, und schließlich ein paar Kräuter."

"Da Sie den Namen des Zahnreißers nicht wissen, nehme ich an, dass Ihnen auch nicht bekannt ist, wem die anderen Stände gehören?"

"Nein, woher denn?"

"Es gibt zahlreiche Wege, das herauszufinden. Man hätte die Besitzer fragen können, oder Passanten…"

"Und das Ziel verlieren?"

"Und, wissen Sie, die wirklich gerissenen Agenten … hätten die Namen auf den Schildern und Planen der Stände nachgelesen."

"Äh.. ich habe aber keine gesehen."

"Aber mit Ausnahme der Kräuterfrau – eine alte Frau, die, so wurde mir gesagt, seit vierzig Jahren oder so an derselben Stelle steht – hatten sie alle ihre Namen auf den Planen."

Verdammte Frau. Hatte sie ihn doch beobachtet? Aber er war sich sicher, dass er sie nicht gesehen hatte.

"Nun, war da noch irgend etwas seltsam während des Besuchs auf dem Markt?"

Er dachte nach. Vielleicht fand er noch etwas, womit er Eindruck schinden konnte. Ah – er hatte es.

"Nicht auf dem Markt. Obwohl ich mich frage, wieso ein Magier nicht einen Blick für Lartens Laden übrig hat."

"Ein Magier?"

"Ja, aber das sollten Sie auch wissen."

"Es ist egal, was ich weiß, wenn Sie nicht gerade meine Gedanken lesen – was mich doch sehr überraschen würde. Wieso denken Sie, dass er ein Magier ist?"

"Er trug diesen Halsreif – den Torc, der seinen Status kennzeichnet."

"Und weil er einen Torc trägt, sagen Sie, er sei ein Magier?"

"Es ist für jeden anderen illegal. Also muss er einer sein."

Millefleurs schüttelte den Kopf. "Wenn etwas illegal ist, heißt das nicht, dass es unmöglich ist. Sagt Ihnen der Name Kaiser Sandemo noch etwas? Er wurde ermordet."

"Und?"

"Mord ist illegal. Nach Ihrer Logik regiert immer noch Kaiser Sandemo."

"Ermordet? Der Kerl war selbst ein verrückter Massenmörder."

"Auch so jemand kann völig illegal ermordet werden."

"Aber es war notwendig."

"Illegale Dinge werden nur getan, wenn sie notwendig sind?"

"Das habe ich nicht behauptet."

"Aber Sie sagten, es sei unmöglich, dass Andrax Lamann kein Magier ist, weil das Tragen eines Torc für Nichtmagier verboten ist."

Dusan seufzte. "Nun, das einzige Indiz, dass er kein Magier sein könnte – und ich sagte könnte – ist, dass er die Auslage von Larten keines Blickes würdigte. Was kaum ein Beweis ist."

"Das ist kein Beweis, da stimme ich zu."

Er stutzte. "Was soll das heißen?"

"Sonst noch etwas Ungewöhnliches oder Seltsames?"

"Nichts."

Millefleurs setzte sich auf. "Leider gibt es einige andere Dinge, die seltsam oder ungewöhnlich sind."

"Oh ja?" Dusan feixte. "Zum Beispiel?"

"Erstens, und da erzählten Sie mir etwas falsches, obwohl der Mann seine linke Wange gerieben hatte, wurde der Zahn aus seiner rechten Wange gezogen – der Zahnreißer stand links neben ihm, für einen Zahn links hätte er rechts oder vor ihm stehen müssen."

"Wa…?" Es durchzuckte ihn wie ein Blitz. Ja, das war, was ihn gestört hatte. Aber er erkannte das erst jetzt.

"Ja, das ist ungewöhnlich, aber alleine noch nicht schlimm. Aber es gibt da mehr. Dinge, die Sie gemerkt haben sollten."

"Mehr?"

"Ja, es ist bekannt, wie sorgfältig Magier mit ihrem Körper umgehen – wie auch viele Adlige. Auch mit Dingen wie abgeschnittenem Haar."

Dusan kicherte. "Ich weiß, mit wurden heute morgen noch die Haare geschnitten und verbra…" Das Kichern verstummte. "Der Zahn?"

"Genau. Wenn schon Haar so wichtig ist, warum würde er einen Zahn zurücklassen?"

"Aber das hieße…"

"Wahrscheinlich war es gar nicht sein Zahn. Oder er ist kein Magier und auch sonst nicht sehr sicherheitsempfindlich. Aber das erste klingt wahrscheinlicher."

"Warum?"

"Hat man Ihnen schon einmal einen Zahn gezogen?"

"Sicher."

"Und wie war das?"

"Wie? Hat höllisch geschmerzt. Ich konnte fast einen ganzen Tag lang nichts beißen."

"Und?"

"Was meinen Sie mit und?"

"Wie war das mit Lamann? Er aß zwei Pasteten und trank Wein, und das nach ein paar Minuten."

Einen Augenblick lang saß Dusan ganz still da. Dann… "Verdammt."

"Ja, seltsam, nicht wahr?"

"Aber wenn es kein Zahn war, was dann?"

"Ich weiß es noch nicht. Aber ich vermute eine Nachricht, die er in den Mund steckte, als er seine Wange rieb."

"Sie meinen, er ist auch ein Geheimagent?"

"Ja, und höchstwahrscheinlich keiner von unseren."

"Wir müssen etwas unternehmen. Wenn die Nachricht die Stadt verlässt…"

Millefleurs sah ihn ruhig an. "Da kümmert sich bereits jemand drum."

"Oh? Tja…"

"Ich hoffe, die heutige Übung – auch wenn sie sich als wichtiger herausstellte als eigentlich beabsichtigt – zeigt Ihnen, wie wichtig jedes Detail sein kann. Und wie wichtig es ist, in einem Bericht alles zu erwähnen."

Sie sah verdammt selbstzufrieden aus, dachte er. Aber besser jetzt keinen großen Aufstand machen. "Ich verstehe."

Sie stand auf. "Das wäre es für heute. Oh, eine Kleinigkeit noch…"

"Ja?"

"Lamann kaufte den Käse nachdem er bei der Kräuterfrau gewesen war. Und vor der Kräuterfrau war er noch bei einem Schreiber um Tinte und Pergament zu kaufen, was Sie völlig vergessen hatten."

Seine Kinnlade fiel herunter. Als sie sich umdrehte, wollte er sie anschreien "Woher wollen Sie das wissen?" Aber genau in diesem Moment fielen seine Augen auf den Rock, den sie trug.

Es war nicht mehr der kurze, dunkelbraune Rock, den sie getragen hatte, als sie ihn losschickte. Jetzt war er eierschalenfaben und lang. Und hatte die gleichen Flecken, die ihm an dem Rock der alten Frau aufgefallen waren.

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