Wie auch in den letzten Monaten schließe ich diesen Monat ab mit der Gesamtausgabe der Kurzgeschichte. Wer sie "am Stück" lesen will, kann sie hier jetzt lesen.

Im nächsten Monat geht es dann in ein ganz anderes Setting, und auch Millefleurs werden wir nächsten Monat nicht wiedersehen. Stattdessen ist ein ausgewachsener Drache eine Hauptfigur der Geschichte.

 
Dusan blätterte durch sein Lehrbuch. Er hatte von einem anderen Schüler gehört, dass es einen Test geben würde, und wollte nicht versagen.

Sein Ziel war es, der beste Student aller Zeiten zu sein; mit weniger würde er sich nicht zufrieden geben. Sein Vater war Adliger, und es wäre schlechter Stil, wenn er nicht der beste wäre. Sicher, der imperiale Geheimdienst war eine Gruppe ganz besonderer Leute, und nur wenige würden überhaupt von seinen Leistungen erfahren, aber darum ging es ihm nicht. Es war ganz einfach ein Fall von Noblesse oblige, genau wie seine leuchtend rote und gelbe Kleidung: ein Hemd aus Seide, die Weste aus Samt und die Hosen aus feinstem Leder aus Nadya-Häuten, aus Kal-hami importiert.

Es gab sowieso zu viele Gemeine im Dienst, dachte er. Nun, er würde seinen Weg nach oben machen, und wenn er der Chef wäre, würde es Veränderungen geben.

Wenigstens hatte er sich nicht verspätet. Es war wieder einmal Zeit gewesen, die Haare zu schneiden, und der Haareschneider hatte sich heute wieder einmal viel Zeit gelassen. Die Aufsicht über das Verbrennen der Haare hatte er gerne dem Haushofmeister der Familie überlassen – der Gestank verbrannten Haares war ja auch nicht auszuhalten -, und er hatte sich beeilen müssen, um rechtzeitig zu erscheinen.

Die Türe ging auf und eine Frau betrat den Raum. Dusan hatte sie noch nie zuvor gesehen, deshalb musterte er sie genau. Die ziemlich billige Kleidung machte deutlich, dass sie ein weiterer niedriger Bürger war, dachte er bei sich. Klein und dürr gebaut, große schwarze Augen und Harre, die so kurz geschnitten waren, dass man sie nur als Stoppeln bezeichnen konnte. Innerlich seufzte er. Wieder so eine Niedriggegeborene, die nicht in den Geheimdienst gehörte, dachte Dusan. Schon allein so etwas anschauen zu müssen war eine Zumutung…

Plötzlich bemerkte er, dass die Frau mit ihm redete. Er konzentrierte sich.

"… für heute. Wir werden heute eine praktische Übung machen, eine Person beschatten, die nichts vermutet. Wenn wir das Gebäude verlassen, werde ich jemanden heraussuchen, der gerade vorbeikommt, rein zufällig. Ihre Aufgabe ist es, die Person zu beschatten und danach zum Rapport zurückzukommen. Oh, ich vergaß, mein Name ist Millefleurs."

"Sie nehmen also den Test heute ab?"

Sie runzelte die Stirn. "Warum sollte das ein Test sein? Das ist eine Trainingsaufgabe, mehr nicht."

Ja, sicher, dachte Dusan, kein Test. Also ob ich das glauben soll. Laut sagte er aber: "Gut, gehen wir."

"Gibt es noch etwas, was Sie tun wollen, bevor wir die Aufgabe angehen?"

"Ich würde lieber den Test so bald wie möglich abschließen", antwortete er mit mühsam unterdrücktem Hohn. Wer war sie schon, dass sie ihm erzählen sollte, er würde mehr Vorbereitung benötigen? Ein einfacher Bürger würde so etwas vielleicht nötig haben, aber er war schließlich Adliger, und als solcher über derartige niedere Dinge erhaben.


Als er durch die Türe trat, stolperte er beinahe über einen Mann, der die Straße entlang eilte und ihm keine Beachtung schenkte. Seine Entschuldigungen erstarben angesichts des vollkommenen Desinteresses des Mannes, der überhaupt kein Interesse an seiner Umgebung zeigte.

Dusan blickte zurück. Millefleurs lächelte und zeigte auf den Rücken des Mannes, den er beinahe umgerannt hätte. Es blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber sie nickte nur.

Seufzend machte Dusan sich auf den Weg. Er musste sich beeilen, um sein Ziel nicht zu verlieren, und schnell vergaß er alles andere in seiner Umgebung. Er hatte Glück: Der man warf leicht zu beschatten und ging in Richtung auf den Marktplatz. Dusan fluchte verhalten, als er das bemerkte. Der Marktplatz war immer voller Leute, die einander anrempelten, voller Taschendiebe, Tiere, Gemüse – es fehlte nur eines: Platz, um sich zu bewegen. Und das war an ruhigen Tagen.

Heute war kein ruhiger Tag. Es war der Tag vor Göttertag, und der Markt war voller Leute, die für den wöchentlichen Feiertag einkauften. Hier hatte er Schwierigkeiten, sein Ziel zu verfolgen, aber er würde wenigstens in den Menschenmengen untertauchen. Nun, die Aufgabe erwies sich wenigstens nicht als allzu schwierig. Millefleurs würde zufrieden sein.

Über Millefleurs gesprochen – wo war sie? Er blickte sich um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Hatte sie ihn verloren? Er lächelte grimmig. Schlechte Leistungen – wenn sie ihm überhaupt folgen sollte. Aber wenn nicht, wie würde sie wissen, ob er dem Ziel gefolgt war, oder ob er sich eine Geschichte ausgedacht hatte? Er würde jedenfalls kein Risiko eingehen.

Der Mann, dem er folgte, stand in einer Ecke und beobachtete die Possen eines Zahnreißers. Jetzt, wo er einen Augenblick Zeit hatte, sah Dusan ihn sich näher an. Gute Kleidung, ein Händler oder so, vermutete er. Die Goldringe an den Fingern zeigten, dass er mehr Geld hatte als Dusan, so viel war klar.

Plötzlich zuckte Dusan zusammen. Er hatte etwas gesehen, was er nicht erwartet hatte. Ein goldener Halsring – das konnte nur eines bedeuten. Keine normale Person durfte so etwas tragen, aber andererseits trugen Magier sie beinahe immer. Es gab da eine Regel im Codex Magii, erinnerte er sich dunkel, die einen Magier eigentlich dazu verpflichtete, stolz das Siegel der Akademie oder des Lehrers zu zeigen, bei dem er gelernt hatte. Das Siegel war sicher auf den Torc – wie man die Dinger nannte – eingraviert, aber es war zu gefährlich, sich heranzuschleichen und zu versuchen, einen Blick auf das Siegel zu erhaschen. Außerdem hätte er es sowieso nicht einordnen können.

Der Mann – der Magier, korrigierte Dusan sich selbst – hob die linke Hand an die Wange. Es sah sogar aus, als ob er leicht zusammenzuckte. War es möglich? Ja, der Magier stieg widerwillig auf die Plattform, wo der Zahnreißer gerade sein letztes Opfer versorgt hatte. Und ja, der Magier wollte sich wohl auch einen Zahn ziehen lassen.

Während er auf das Spektakel wartete, sah Dusan sich noch einmal um. War diese Millefleurs noch aufgetaucht? Es sah nicht danach aus. Niemand, der ihr öhnelte – und ihr kurzgeschorenes Haar wäre mehr als auffällig gewesen.

Naja, es gab da schon jemand, der ihr ein wenig ähnelte, das musste er zugeben. Eine ältliche Frau mit langem, grauen Haar, in einem fleckigen, eierschalenfarbenen langen Rock und einer Strickjacke über den Armen. Sie schlurfte durch die Straßen, anscheinend verloren, mit einer Kappe in der Hand. Warum setzte sie sich die Kappe nicht auf?

Als ein Mann die Münze in die Kappe fallen ließ, erkannte er, wieso. Mit Schaudern wandte er die Augen von ihr ab und zu dem Magier. Er wollte nichts mit Bettlern zu tun haben, der Abschaum der Straßen verursachte ihm Gänsehaut.

Während sie sich einen Weg durch die Menschen bahnte, wich er zurück, um sie zu vermeiden. Mit einem Auge auf dem Zahnreißer und dem Magier, hielt er das andere auf der Alten. Ja, er war sich immer sicherer, dass sie irgendwie mit dieser … bürgerlichen Lehrerin verwandt war, die ihn auf diese Mission geschickt hatte. Sie hatte die gleiche Nase und die gleichen dunklen Augen. Allerdings war sie deutlich älter – ihr graues Haar bewies das – und er wunderte sich, wie sie wohl verwandt waren. Gut möglich, dass diese Bettlerin ihre Mutter war, dachte er bei sich.

Der Magier – ein schneller Blick auf die Plattform – wies auf einen Zahn und setzte sich dann auf den Stuhl mit der hohen Lehne. Während der Zahnreißer sich von links über den Mann beugte und die Massen hin und her wogten und sich an dem Spektakel ergötzten – die Arme und Beine des Magiers zuckten wild – blickte er sich wieder um. Ah, da war ja die alte Hexe. Wie die anderen Leute interessierte sie sich nur für die Geschehnisse auf der Plattform – was war Schadenfreude doch für ein niederer Instinkt, ein Instinkt, über den er sich weit erhaben fühlte.

Schließlich riss der Zahnreißer seinen Ellenbogen mit Schwung hoch und nach hinten und hob triumphierend die Zange hoch, den schlechten Zahn fest im Griff. Während der Magier in den Sessel zurücksank und seine Wange streichelte, warf der Zahnreißer den Zahn in einen Eimer, in dem schon mehr Zähne waren – wahrscheinlich nicht nur von Kunden des heutigen Tages, dachte Dusan. Dafür waren es einfach zu viele Zähne.

Jetzt, da das Schauspiel vorbei war, zerstreuten die Leute sich wieder um einzukaufen, und auch die alte Frau hatte wieder begonnen zu betteln. Dusan achtete darauf, ihn nicht zu nahe zu kommen und wartete, dass der Magier wieder auf die Beine kam.

Das dauerte nicht lange. Schlurfend und offensichtlich noch leicht benommen verließ der Magier die Plattform und ging zurück auf den Markt. Dusan folgte ihm, wobei er sich die Stände merkte, die der Magier besuchte, um sie später benennen zu können.

Zuerst besuchte der Magier einen Fleischer, wo er sich zwei Pasteten einpacken ließ. Dann ging er zu einem Weinhändler, wo er sich niederließ, ein Viertel Wein trank und dabei aß. Offensichtlich hatte die Tortur ihm einen gesunden Appetit gegeben, denn er verputzte die beiden Pasteten und den Viertelliter Wein in wenigen Minuten.

Von dort ging der Magier zu einem Kräuterhändler. Während er die Waren durchsah, bemerkte Dusan die alte Bettlerin wieder. Auch sie schien sich für die Kräuter zu interessieren. Dusan runzelte die Stirn. Wieso sollte eine Bettlerin sich so teure Kräuter leisten wollen? Wie auch immer … sein Ziel kaufte ein paar Farne und ging dann weiter.

Der Magier hatte seine Besorgungen beinahe erledigt. Er ging noch zu einem Schreiber, wo er Tinte und Pergament erwarb, und schließlich zu einem Stand wo Käse verkauft wurde. Nachdem er die verschiedenen Käse ausgiebig gemustert hatte, entschied er sich für einen, den Dusan ekelerregend orange fand, und ließ ihn einpacken. Schließlich verließ er den Markt und machte sich auf den Heimweg.

Als er bei dem Ausgang des Hauptquartiers vorbeikam, durch den er es zuletzt verlassen hatte, sah er Millefleurs in der Türe stehen. Sie winkte ihn herein und sagte "So viel zum Beschatten. Jetzt kommt noch die Abschlussbesprechung."


Dusan fragte sich, ob er sie im Markt ganz einfach übersehen hatte, oder ob sie ihm einfach alles glauben würde, was er ihr erzählte. Während er ihr zum Besprechungsraum folgte, beschloss er, nichts hinzuzuerfinden. Er war sich sicher, dass er als Jahrgangsbester diesen Test mit Bravour bestehen würde.

"Was gibt es zu berichten?" Millefleurs lächelte ihn an.

"Die Person ging zum Markt und dann wieder zurück. Während ich ihm dahin folgte, wo er wahrscheinlich wohnt, wurde ich schon wieder herein gerufen."

"Geht es auch noch ungenauer?"

"Häh?" Dusan blickte sie an, durch den scharfen Tonfall mehr erschreckt als durch die Ironie in ihren Worten. "Was meinen Sie?"

"Person ging zum Markt und zurück. Das wäre kaum ausreichend, wenn es ein Überwachungsbericht über mehrere Wochen wäre, aber sicher nicht für einen Bericht über eine Aufgabe, die etwa zwei Stunden beanspruchte."

Zwei Stunden? Dusan dachte nach. Ja, das konnte ungefähr hinkommen, dachte er. "Was ist noch wichtig?"

"Fangen wir vam Anfang an. Als Sie begonnen, ihm zu folgen – sein Name ist übrigens Andrax Lamann, ich erkannte ihn erst, nachdem ich die Aufgabe erteilt hatte – ging er wohin?"

"Auf den Markt."

"Ging er direkt zum Markt? Und auch, wenn er direkt hinging, gibt es drei mögliche Wege von dort,m wo die Überwachung begann. Welche Straßen nahm er? Hat er jemanden unterwegs gegrüßt? Irgend etwas ungewöhnliches getan?"

Dusan seufzte. "Er ging direkt zum Markt durch die Goldene Ochsenkutschenstraße. So weit ich sah, hat er niemanden unterwegs gegrüßt, nirgendwo angehalten und nicht einmal einen Blick in die Auslagen von Larten's 'Emporiumme der Merckwürdigkeiten' geworfen."

"Wohin ging er auf dem Markt?"

"Da war ein Zahnreißer, und er ließ sich einen Zahn ziehen. Dann hat er eingekauft – Fleisch, Wein, Käse, einige Kräuter – und ging dann wieder."

Millefleurs schloss ihre Augen einen Augenblick lang. "Es gibt heute mindestens vier Zahnreißer im Markt – dies ist eine große Stadt, und sie haben genug zu tun. Zu welchem ging er?"

"Vier? Ich habe nur einen gesehen. Es war im Teil des Marktes, der direkt ans Königsviertel angrenzt. Ich denke, das sollte es beschreiben – er hat den Teil des Marktes nicht verlassen und ich habe keine anderen Zahnreißer gesehen, ich gehe davon aus, dass die andere irgendwoanders stehen."

"Ja, natürlich gehen Sie davon aus. Was geschah genau?"

"Wieso genau? Er steig auf die Plattform, ließ sich einen Zahn ziehen und ging wieder." Was war daran so schwer zu verstehen? Oh, Moment, jetzt verstand er. Manche Leute, wenn sie anderen etwas beibringen sollten, konnten sehr pingelig über Details sein. Anscheinend war ihm so jemand aufgehalst worden. Großartig!

"Wartete er einen Moment, bevor der auf die Plattform stieg, oder ging er direkt hinauf? Gab es vorher schon Anzeichen, dass er einen schmerzenden Zahn hatte, bevor er auf die Plattform stieg?"

Ha! Jetzt konnte er beweisen, dass er ein Auge für Details hatte. "Er wartete etwa vier Minuten, weil der Zahnreißer einen anderen Kunden behandelte. Aber ich sah, dass er seine linke Wange rieb, bevor er hochstieg, er hatte den Zahn also schon vorher."

"Und noch früher schon ein Anzeichen?"

"Nicht dass ich es bemerkt hätte. Ich habe aber auch nur seinen Rücken gesehen, während er lief."

"Hat er je die Hand hochgenommen?"

"Da habe ich nicht drauf geachtet."

"Warum nicht?"

Er sah sie erstaunt an. "Warum nicht?"

"Genau: Warum nicht? Die Aufgabe war, ihn zu beschatten und alles zu berichten, was er tat. Und Sie wissen nicht, ob er siene Hand zur Wange hob oder nicht."

"Macht das einen Unterschied?"

"Wenn man jemanden beschatten soll, ist es nicht die Aufgabe des Beschatters zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Unwichtige Informationen können immer noch ignoriert werden."

Langsam würde er ärgerlich. Wer dachte sie, dass sie war? Eine Bürgerliche, die ihn behandelte wie… wie… Ach, es war wohl besser, sie jetzt gewähren zu lassen und es ihr dann heimzuzahlen, wenn er die Prüfungen bestanden hatte.

"Nun, nachdem der Zahn gezogen war…"

"Nicht so schnell. Welcher Zahn wurde gezogen?"

"Woher soll ich das wissen? Ich stand nicht auf der Plattform!"

"Weißt Du wenigstens, aus welchem Bereich des Mundes der Zahn gezogen wurde?"

Er lächelte. "Natürlich weiß ich das. Links." Gut, dass er bemerkt hatte, welche Wange der Magier gerieben hatte.

"Ober- oder Unterkiefer?"

"Geht das nicht etwas weit?"

"Seltsamerweise ist es einfacher zu sehen, ob ein Zahn aus dem Ober- oder Unterkiefer gezogen wird als ob es ein linker oder rechter Zahn ist, zumindest wenn der Zahnreißer vor dem Kranken steht. Wenn Du sehen konntest, dass es ein linker Zahn war…"

"Hmm…" Verzweifelt rief er sich das Bild wieder vor die Augen. Oh, ja, der Zahnreißer zog nach oben. Es muss also ein Zahn aus dem Unterkiefer gewesen sein." Er runzelte die Stirn. Irgendetwas an dem Bild störte ihn, aber er konnte nicht sagen, was.

"Er ließ sich also einen Zahn unten links zeiehn?"

"Das sagte ich doch."

"Und was geschah hinterher mit dem Zahn?"

"Der wurde mit den anderen in einen Eimer geworfen."

"Den anderen?"

"Der Zahnreißer hatte einen Eimer mit Zähnen. Da hat er auch diesen Zahn hinein geworfen."
"OK. Und dann ist Lamann gegangen?"

"Wer ist… Ach, ja, er ging."

"Wer? Lamann? Erinnern Sie sich noch? Andrax Lamann, der Mann, der beschattet werden sollte?"

"Kein Grund für Sarkasmus."

"Wo ging er dann hin?"

"Einkaufen. Wein, Kräuter, Fleisch, Käse"

"In der Reihenfolge?"

"Ich glaube… Moment – nein. Erst kaufte er zwei Fleischpasteten, aß sie dann mit etwas Wein, dann…" Er geriet ins Schwimmen."… dann kaufte er etwas Käse – einen schrecklich orangefarbigen -, und schließlich ein paar Kräuter."

"Da Sie den Namen des Zahnreißers nicht wissen, nehme ich an, dass Ihnen auch nicht bekannt ist, wem die anderen Stände gehören?"

"Nein, woher denn?"

"Es gibt zahlreiche Wege, das herauszufinden. Man hätte die Besitzer fragen können, oder Passanten…"

"Und das Ziel verlieren?"

"Und, wissen Sie, die wirklich gerissenen Agenten … hätten die Namen auf den Schildern und Planen der Stände nachgelesen."

"Äh.. ich habe aber keine gesehen."

"Aber mit Ausnahme der Kräuterfrau – eine alte Frau, die, so wurde mir gesagt, seit vierzig Jahren oder so an derselben Stelle steht – hatten sie alle ihre Namen auf den Planen."

Verdammte Frau. Hatte sie ihn doch beobachtet? Aber er war sich sicher, dass er sie nicht gesehen hatte.

"Nun, war da noch irgend etwas seltsam während des Besuchs auf dem Markt?"

Er dachte nach. Vielleicht fand er noch etwas, womit er Eindruck schinden konnte. Ah – er hatte es.

"Nicht auf dem Markt. Obwohl ich mich frage, wieso ein Magier nicht einen Blick für Lartens Laden übrig hat."

"Ein Magier?"

"Ja, aber das sollten Sie auch wissen."

"Es ist egal, was ich weiß, wenn Sie nicht gerade meine Gedanken lesen – was mich doch sehr überraschen würde. Wieso denken Sie, dass er ein Magier ist?"

"Er trug diesen Halsreif – den Torc, der seinen Status kennzeichnet."

"Und weil er einen Torc trägt, sagen Sie, er sei ein Magier?"

"Es ist für jeden anderen illegal. Also muss er einer sein."

Millefleurs schüttelte den Kopf. "Wenn etwas illegal ist, heißt das nicht, dass es unmöglich ist. Sagt Ihnen der Name Kaiser Sandemo noch etwas? Er wurde ermordet."

"Und?"

"Mord ist illegal. Nach Ihrer Logik regiert immer noch Kaiser Sandemo."

"Ermordet? Der Kerl war selbst ein verrückter Massenmörder."

"Auch so jemand kann völig illegal ermordet werden."

"Aber es war notwendig."

"Illegale Dinge werden nur getan, wenn sie notwendig sind?"

"Das habe ich nicht behauptet."

"Aber Sie sagten, es sei unmöglich, dass Andrax Lamann kein Magier ist, weil das Tragen eines Torc für Nichtmagier verboten ist."

Dusan seufzte. "Nun, das einzige Indiz, dass er kein Magier sein könnte – und ich sagte könnte – ist, dass er die Auslage von Larten keines Blickes würdigte. Was kaum ein Beweis ist."

"Das ist kein Beweis, da stimme ich zu."

Er stutzte. "Was soll das heißen?"

"Sonst noch etwas Ungewöhnliches oder Seltsames?"

"Nichts."

Millefleurs setzte sich auf. "Leider gibt es einige andere Dinge, die seltsam oder ungewöhnlich sind."

"Oh ja?" Dusan feixte. "Zum Beispiel?"

"Erstens, und da erzählten Sie mir etwas falsches, obwohl der Mann seine linke Wange gerieben hatte, wurde der Zahn aus seiner rechten Wange gezogen – der Zahnreißer stand links neben ihm, für einen Zahn links hätte er rechts oder vor ihm stehen müssen."

"Wa…?" Es durchzuckte ihn wie ein Blitz. Ja, das war, was ihn gestört hatte. Aber er erkannte das erst jetzt.

"Ja, das ist ungewöhnlich, aber alleine noch nicht schlimm. Aber es gibt da mehr. Dinge, die Sie gemerkt haben sollten."

"Mehr?"

"Ja, es ist bekannt, wie sorgfältig Magier mit ihrem Körper umgehen – wie auch viele Adlige. Auch mit Dingen wie abgeschnittenem Haar."

Dusan kicherte. "Ich weiß, mit wurden heute morgen noch die Haare geschnitten und verbra…" Das Kichern verstummte. "Der Zahn?"

"Genau. Wenn schon Haar so wichtig ist, warum würde er einen Zahn zurücklassen?"

"Aber das hieße…"

"Wahrscheinlich war es gar nicht sein Zahn. Oder er ist kein Magier und auch sonst nicht sehr sicherheitsempfindlich. Aber das erste klingt wahrscheinlicher."

"Warum?"

"Hat man Ihnen schon einmal einen Zahn gezogen?"

"Sicher."

"Und wie war das?"

"Wie? Hat höllisch geschmerzt. Ich konnte fast einen ganzen Tag lang nichts beißen."

"Und?"

"Was meinen Sie mit und?"

"Wie war das mit Lamann? Er aß zwei Pasteten und trank Wein, und das nach ein paar Minuten."

Einen Augenblick lang saß Dusan ganz still da. Dann… "Verdammt."

"Ja, seltsam, nicht wahr?"

"Aber wenn es kein Zahn war, was dann?"

"Ich weiß es noch nicht. Aber ich vermute eine Nachricht, die er in den Mund steckte, als er seine Wange rieb."

"Sie meinen, er ist auch ein Geheimagent?"

"Ja, und höchstwahrscheinlich keiner von unseren."

"Wir müssen etwas unternehmen. Wenn die Nachricht die Stadt verlässt…"

Millefleurs sah ihn ruhig an. "Da kümmert sich bereits jemand drum."

"Oh? Tja…"

"Ich hoffe, die heutige Übung – auch wenn sie sich als wichtiger herausstellte als eigentlich beabsichtigt – zeigt Ihnen, wie wichtig jedes Detail sein kann. Und wie wichtig es ist, in einem Bericht alles zu erwähnen."

Sie sah verdammt selbstzufrieden aus, dachte er. Aber besser jetzt keinen großen Aufstand machen. "Ich verstehe."

Sie stand auf. "Das wäre es für heute. Oh, eine Kleinigkeit noch…"

"Ja?"

"Lamann kaufte den Käse nachdem er bei der Kräuterfrau gewesen war. Und vor der Kräuterfrau war er noch bei einem Schreiber um Tinte und Pergament zu kaufen, was Sie völlig vergessen hatten."

Seine Kinnlade fiel herunter. Als sie sich umdrehte, wollte er sie anschreien "Woher wollen Sie das wissen?" Aber genau in diesem Moment fielen seine Augen auf den Rock, den sie trug.

Es war nicht mehr der kurze, dunkelbraune Rock, den sie getragen hatte, als sie ihn losschickte. Jetzt war er eierschalenfaben und lang. Und hatte die gleichen Flecken, die ihm an dem Rock der 'alten Frau' aufgefallen waren.;

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