Der dritte Teil der Geschichte. Hier geht es nur um den Einbrecher und um das, was er stehlen wollte – den Anhönger, wie vorige Woche bereits in der Geschichte gesagt.
Der Anhänger wird uns noch öfter begegnen – oder zumindest Informationen über den Anhönger. Wie wir heute erfahren, ist der Anhänger nämlich etwas ganz besonderes.
"Ich wurde wach, als die Frösche ihren Lärm stoppten. Erst hatte ich Probleme durch das ganze Trara einzuschlafen, aber als sie still wurden, war ich sofort hellwach. Dann bemerkte ich, dass jemand herein kam" erklärte Lilli, und zeigte di Bosson das aufgeschnittene Fenster. "Ich wollte wissen, was er oder sie vorhatte, und bin ihm gefolgt, wollte aber sofort zuschlagen, wenn es nötig wäre."
"Er hätte mich umbringen können, während du wartetest."
"Wohl kaum, ich war ständig nicht mehr als einen halben Meter entfernt. Wenn er einen Dolch oder ein Blasrohr gezogen hätte, hätte ich ihn mir sofort gegriffen. Aber er interessierte sich nur für die Edelsteine."
"Und dank dir ist er ohne sie wieder abgezogen."
"Es war schon komisch… Ich erwartete, dass er noch einmal zugreifen würde, als er plötzlich wegging. Hat mich ein wenig überrascht. Aber ich habe ihm das Schmuckstück wieder abgenommen, den er stehlen wollte."
"Nur ein Stück? Das ist wirklich seltsam."
"Wenn er nicht hierher kam um genau dieses Stück zu nehmen. Aber warum?"
"Was wollte er stehlen? Weißt du das?"
Lilli zeigte den Anhänger vor, wobei sie ein wenig zusammenzuckte, als der Schmerz in ihrer Schulter wieder aufflammte. Es war der Anhänger mit dem roten Stein. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Rubin, aber im Kerzenlicht wurde schnell klar, dass es keiner war. Der Stein war viel voller in der Farbe, mit einem seltsamen Muster in seinem Inneren, beinahe wie eine Schrift. Lilli runzelte die Stirn.
"Was ist das für ein Stein? Ich habe so etwas noch nie gesehen."
"Gut möglich. So weit ich weiß, existiert in der ganzen Welt kein zweiter wie dieser."
"Aber dann ist er doch extrem wertvoll, oder nicht?"
"Er wäre es, wenn da nicht der Fluch wäre, der an ihm haftet."
"Fluch? Was für ein Fluch? Und wie wertvoll wäre er?"
di Bosson lachte. "Niemand hat je einen Preis für ihn festsetzen können. So weit bekannt ist, ist er nie verkauft worden."
"Nie ist ein starkes Wort."
"Aber nicht stärker als der Fluch.
Vor etwa dreihundert Jahren wurde der Stein gefunden, in einem alten, verlassenen Tempel in Na'Rioch. Schon einmal von dem Ort gehört?"
Lilli überlegte kurz und nickte dann. "Ist das nicht eine Tempelstadt des alten Schlangenvolkes?"
di Bosson blickte sie überrascht an. "Das stimmt. Du weißt ja eine Menge Dinge…"
Lilli zuckte mit den Achseln. "Wenn man für wichtige Leute Leibwächter ist, erfährt man eine Menge. Es ist wichtig, sich nur daran zu erinnern, wenn sie bedeutsam sind, und sich ansonsten nicht drum zu kümmern. Erom Melkar war ein Fachmann, was das Schlangenvolk anging."
"Ahh. Das erklärt es. Natürlich.
Nun, wie ich sagte, der Stein wurde vor etwa dreihundert Jahren in Na'Rioch gefunden. Der Entdecker, ein gewisser Jorun Kilfar, hatte aber nicht viel Spaß damit. Noch innerhalb einer Woche wurde er wegen des Steines von einem anderen Forscher ermordet. Das war der erste Schritt auf einem langen Weg voller … sagen wir Pech, das die Eigentümer des Steines ereilte."
"Sind sie alle deshalb umgebracht worden?"
"Nicht unbedingt. Aber aus irgendeinem Grunde scheint es unmöglich zu sein, dass der Stein auf legalem Wege einen neuen Eigentümer erhält. So weit ich weiß wurde er in den dreihundert Jahren gestohlen, geraubt, Leute wurden für ihn umgebracht, betrogen oder erpresst, er wurde mindestens zweimal verwendet um einen Beamten zu bestechen… und nicht einmal wurde er legal weitergegeben.
Vor fünfzig Jahren schien es, als sei der Fluch gebrochen, als der damalige Eigentümer, Patrok Loranar, bei einem Unfall ums Leben kam und seine Frau den Stein erbte. Aber einige Stadtwachen fanden es seltsam, dass der Fluch so einfach verschwinden wollte, und nach langen Untersuchungen wurde die Frau verhaftet – sie hatte den Unfall arrangiert, um ihren Mann zu beerben. Und an dem Tag, an dem sie verhaftet wurde, wurde der Stein aus ihrem Haus gestohlen.
Ich habe den Fluch nie ernst genommen, dachte, er sei etwas, mit dem man kleinen Kindern Angst macht. Aber jetzt… Es scheint, dass jemand den Stein haben will, egal wie, und ich fürchte, dass der Fluch mich irgendwann doch erwischen wird.
Ich erinnere mich noch, als ich den Stein vor zehn Jahren erwarb, war ich ernstlich krank, und mein Arzt meinte ich würde den Monat nicht überleben. Damals besorgte ich mir den Stein und dachte, ich könnte den Fluch überlisten, indem ich starb, bevor etwas geschehen könnte. Aber dann wurde ich überraschend wieder gesund. Und seither bin ich nicht mehr krank geworden."
Lilli blickte den Stein zweifelnd an. "Und, was planen Sie jetzt mit dem Stein? Würde es nicht helfen, den Stein jemandem zu schenken, den Sie mögen?"
Di Bosson lachte gequält auf. "Sicher, das würde helfen. Aber mir steht niemand nahe genug, der so ein Geschenk annehmen würde. Ich kenne nur Geschäftspartner, und so jemand würde natürlich annehmen, dass ich ihn bestechen wollte. Manchmal kann es auch von Nachteil sein, ein reicher Händler zu sein."
"Und wenn Sie ihn verkaufen?"
"Ich habe es versucht. Die Götter können es bezeugen, und wie ich es versucht habe. Niemand, der den Stein sah, wollte mit ein Angebot machen. Alle meinten 'Ich will nicht verantwortlich sein, wenn dir etwas Schlimmes passiert während ich gerade das Geld hole…'"
Beide schwiegen einig Zeit und starrten auf den Stein.
"Es scheint also, dass es keinen Weg gibt, den Stein los zu werden? Und es sieht aus, als solle er wieder gestohlen werden, notfalls ohne Achtung auf Kollateralschäden? Gut, dass ich davon weiß, so kann ich mich auf mögliche Gefahrenpunkte besser einstellen."
di Bosson grinste. "Mir gehen so langsam die Optionen aus. Ich dachte, ich könne schlauer sein als der durchschnittliche Fluch, aber es scheint, dass der Fluch mir über ist." Er gähnte. "Gehen wir wieder schlafen. Ich glaube nicht, dass heute noch etwas passieren wird."