Und hier der dritte und letzte Teil um den ‚Abschlusstest‘. Wir begegnen Baron Viridian Gilbur, Lillis Onkel, und erfahren, dass einer der ‚Monate‘ im Kalender dieser Welt Nebelmond heißt. Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass dieser Monat entweder im Frühjahr oder im Herbst liegt 🙂
Rohazil, der Hofkater, scheint ja bei den Bediensteten wirklich keinen guten Ruf zu haben…
Baron Viridian Gilbur blickte grimmig drein. Damit gab er nur zu erkennen, dass es ein ganz normaler Tag war, denn seine Miene – die durch ihre reine Unfreundlichkeit bereits so manchen verstockten Sünder zum Sprechen gebracht hatte – war nur an ganz hohen Fest- und Feiertagen auch nur entfernt als freundlich zu bezeichnen.
Als es klopfte, gab er nur ein brummiges Knurren von sich, das für Eingeweihte soviel wie „Herein!“ bedeutete. Die Türe öffnete sich, und Lilliandarna – die noch am Vorabend ausdrücklichen Unwillen gezeigt hatte, ihm zu begegnen – trat ein. Neben ihrer – gewohnt knappen – Kleidung trug sie noch ein kleines, in buntes Papier eingeschlagenes Päckchen mit sich.
„Pirin zum Gruße. Ihr habt nach mir schicken lassen?“
„Sehr richtig. Es ist an der Zeit, dass Eure Abschlussprüfung erfolgen mag. Auch wenn mir zugetragen wurde, dass Ihr in den letzten Tagen seltsam müde wirkt. Ich gehe davon aus, daß es noch eine Nachfolge Eures großen Einsatzes in Sachen dieser Priesterin ist.“
„Das könnte gut sein.“
„Jetzt denkt nicht, daß ich Euren Einsatz deshalb schon gutheiße, weil Ihr die benötigte Information erlangt hattet. Es war wirklich nicht nötig…“ Strafend sah er seine Nichte an.
„Es tut mit leid, Euer Hochgeboren, aber in der knappen Zeit, die mir zur Verfügung stand, war Bettgeflüster der einzige Weg, den ich sah.“
„Schon gut, schon gut“, winkte Baron Gilbur ab. „Gehen wir lieber über zu dem, was jetzt ansteht. Eure Abschlussprüfung.“
Erwartungsvoll sah Lilliandarna zu, wie er die Papiere aus seinem Schreibtisch herausnahm. Er nahm die Papiere vorsichtig auf und las sie zuerst noch einmal leise durch, bevor er sich räusperte und zu Lilliandarna sah.
„Abschlußtest für Lilliandarna Gilbur, bekannt unter dem Codenamen Strauß, Deckidentität als Bardin Millefleurs, gegeben zu Miran den 13. Tag im Nebelmond im Jahre 12 nach der Thronbesteigung unseres geliebten Kaisers Borudin.
Die Aufgabe der Schülerin ist es, das mit Strass besetzte Halsband des Hofkaters unseres geliebten Kaisers – Pirin möge über ihn wachen – zu entwenden und dem Leiter des Imperialen Sicherheitsdienstes, Baron Viridian Gilbur auszuhändigen
Da diese Aufgabe einem normalen Diebstahl insofern widerspricht als kaum jemand auf dieses Halsband besondere Rücksicht nehmen würde, wird seine Majestät, Kaiser Borudin, von dieser Aufgabe informiert, nicht aber davon, wer sie ausführen soll. Seine Majestät wird entsprechende Sicherheitsmaßnahmen in die Wege leiten, ohne jedoch direkt auf eine Diebstahlsgefahr oder auf das gefährdete Objekt hinzuweisen.
Sobald das zu entwendende Objekt in den Besitz Baron Gilburs übergegangen ist, beginnt der Urlaub der Mitarbeiterin Strauß, befristet auf den ersten Tag des folgenden Schneemondes.
Die genaue Methode des Diebstahls muss die Mitarbeiterin Strauß nicht einreichen, ebensowenig einen ausführlichen Bericht.
Gegeben und zur Kenntnis genommen durch Baron Viridian Gilbur.“
Der Baron sah Lilliandarna an. „Du hast es gehört. Du fragst Dich vielleicht, wieso ausgerechnet ein Diebstahl, wo doch Deine Arbeit – und auch Deine Ausbildung – ein Schwergewicht auf ganz andere Bereichen legte. Nun ist es ganz einfach so, dass Deine Leistungen sowohl in der Ausbildung als auch in den Aufgaben, die ich Dir in der Zwischenzeit gab, keinen Anlass zur Klage gaben. Nur Deine Fähigkeiten auf diesem Bereich sind noch nie so recht getestet worden. Und da unsere Politik besagt, dass ein Agent alles können muss, ist unser Abschlusstest immer etwas aus einem in der Ausbildung eher vernachlässigten Bereich.
Zu diesem Zeitpunkt wird gerade seine Majestät von dem Auftrag unterrichtet. Wenn Du also Erfolg haben willst, dann solltest Du Dich beeilen.“
„Vielen Dank. Wenn Sie die Gnade hätten, dieses als Zeichen meiner Hochachtung entgegenzunehmen…“. Lilliandarna reichte ihm das bunte Päckchen. Als Baron Gilbur keine Anstalten machte, es anzunehmen, legte sie es einfach auf den Tisch.
Baron Gilbur sah das Päckchen mißtrauisch an, als habe er Angst, es könne jeden Moment eine giftige Isisnatter herauszüngeln. In diesem Moment klopfte es an der Türe.
„Herein“, grummelte der Baron, während er Lilliandarna mit Blicken bedeutete, zur Seite zu treten.
Ein Bote in der kaiserlichen Livree trat ein. Er verbeugte sich und wartete, bis der Baron ihm durch einen kurzen Wink bedeutete zu reden.
„Melde gehorsamst, seine Majestät geruht seiner Barone Viridian Gilbur seine Grüße zu übermitteln. Leider sieht seine allergöttlichste Majestät sich außerstande, dem Wunsche seiner Hochgeboren nachzukommen, da ein schuftiger Dieb bereits das Mistvi…, ‚tschuldigung, den kaiserlichen Hofkater um sein Halsband erleichtert hat.“
Mit eingezogenem Kopf blieb der Diener stehen und wartete auf das unvermeidliche Ungewitter. Zu seiner großen Überraschung blieb es aber aus. Der Baron schaute nur auf das Päckchen, das Lilliandarna ihm soeben gegeben hatte. Nach langen, bangen Minuten (für den Bediensteten) winkte er ihm, er könne gehen. „Keine Antwort nötig, hoffe ich“, meinte er noch.
Als der Diener sich eiligst empfohlen hatte, blieb der Baron noch mehrere Minuten reglos sitzen und starrte das Päckchen an. Dann hob er langsam den Blick zu Lilliandarna.
„Ist da…“ Die Stimme versagte ihm.
Lilliandarna nahm Haltung an.
„Agentin Strauß meldet sich in den Urlaub“, meldete sie.
Der Baron schloss nur die Augen.
„Und nun, da ich im Urlaub bin: Tschüss, Onkelchen!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und huschte durch die Türe.
Als sie draußen war, verhielt sie kurz. Sicherheitsbedürfnis und Neugier stritten in ihr miteinander. Schließlich siegte die Neugier, und sie legte das Ohr an die Türe.
Lautes Lachen belohnte ihren Mut.